Mein Bücherstapel #1: Bolaño, Menschik, Büchner
Diese 6 Bücher stapeln sich gerade bei mir – eines stammt vom Mitbegründer des ,Zentralrats der umherschweifenden Haschrebellen‘.
Herzlich Willkommen in der BELETAGE. Mein Name ist Manuel Lorenz, und ich schreibe hier unregelmäßig über Kunst und Kultur, die mich bewegt. Zuletzt ging es um einen Hünen, einen Mord und ChatGPT.
Diesmal geht es um Bücher.
Aber keine Sorge. Im Folgenden werde ich nicht versuchen, euch davon zu überzeugen, all die langweiligen toten weißen Männer zu lesen, die mich seit jeher begeistern. Meine neue Newsletter-Kategorie Mein Bücherstapel folgt auch keiner Systematik. Ich will euch schlicht daran teilhaben lassen, was ich in letzter Zeit für Bücher gekauft habe. (Manche hab ich auch geschenkt bekommen oder auf der Straße gefunden.) Eine Art kommentierter Kassenzettel. Wobei es in den Antiquariaten, in denen ich mich herumtreibe, oft keine Kassenzettel gibt.
Wieso hab ich mir das Buch gekauft? Wo, zu welchem Preis und in welchem Zustand hab ich es erstanden? Und was fällt mir zu dem Werk und/oder Autor noch so ein? Ich finde die Um- und Zustände eines Buches manchmal interessanter als das Buch selbst.
Im besten Fall inspiriert euch Mein Bücherstapel tatsächlich zu neuen Lektüren oder zumindest Anschaffungen. (Ja ja, Bücher kaufen und Bücher lesen sind zwei unterschiedliche Hobbys …) Und wenn nicht, wisst ihr wenigstens, was jetzt an Neuem in meinem Bücherregal steht. Denn was gibt es Spannenderes, als sich die Bibliothek von Freunden oder Bekannten anzuschauen?1
Knut Hamsun, Mysterien
„Mein Lieblingsroman, der wird dir gefallen!“ Mit diesen Worten empfahl mir mein Freund Jakob das Buch vor mittlerweile vielen Jahren bei einem Kantinenessen. Seitdem trau ich mich nicht mehr, mit ihm über Lieblingsromane zu sprechen, weil ich Angst habe, gestehen zu müssen, dass ich das Buch immer noch nicht gelesen habe. Aber bald. Denn jetzt hab ich mir eine schöne, gebrauchte Hardcover-Ausgabe gekauft, lindgrüner Schutzumschlag, List Verlag, München 1994, 358 Seiten, 3 Euro zuzüglich 2,40 Euro Versand.
Hamsun ist ja ein etwas schwieriger Kandidat, da er Hitler super fand und sogar einen Nachruf auf ihn schrieb, in dem er das Scheusal als „reformatorische Gestalt höchsten Ranges“ bezeichnete. Mysterien schrieb er zum Glück viel früher, nämlich 1892; Thomas Mann war sein größter Fan. („Ich fühlte froh, dass weder Nietzsche noch Dostojevskij im eigenen Land einen Schüler dieses Ranges hinterlassen haben.“) Was mich betrifft, hat mich die Lektüre seines Romans Hunger zumindest nicht davon abgehalten, mir endlich dieses Werk zu besorgen.
Roger Schawinski, Die TV-Falle: Vom Sendungsbewusstsein zum Fernsehgeschäft
Was für ein Typ! Roger Schawinski gründete – illegal! – den ersten kommerziellen Radiosender der Schweiz (gesendet wurde von Italien aus) und hob in der Alpenrepublik das Privatfernsehen aus der Taufe. Für uns Deutsche ist er interessant, weil er zwischen 2003 und 2006 Chef von Sat. 1 war – und darüber schreibt er in dem Buch.2
Damals lief die Harald Schmidt Show gerade noch bei Sat. 1, und Schmidt nahm sich seinen neuen Chef an zwei Abenden hintereinander vor. Abend 1: „Als Mediennutte muss ich mich jetzt auf den neuen Chef einstellen …“ Abend 2: Schmidt hielt das Cover vom Schawinski-Buch Das Ego-Projekt in die Kamera, auf dem ein Porträt des Autors prangt, und sagt: „Wow, so sieht unser neuer Chef aus. Da muss sich Kai Pflaume aber warm anziehen.“ Zwölf Jahre später lud der Schweizer Medienpionier die deutsche Talkshowlegende in seine Fernsehsendung ein und ließ durchscheinen, dass er Schmidts damalige Invektiven immer noch nicht verwunden hatte (Schawinski, SRF, 16.02.2015).
Warum man sich aber eigentlich mit Roger Schawinski beschäftigen muss: Er trägt sein Hemd auch im seriösesten Umfeld in Gunter-Sachs-Manier drei Knöpfe weit offen. Wer keine Lust auf seine Autobiografie Wer bin ich? hat, kann sich diese SRF-Doku von 2020 ansehen:
Roberto Bolaño, Lumpenroman
Helene Hegemann, Dimitrij Schaad und Sophie Passmann scheiterten in unserer Literatursendung Studio Orange daran, den Plot von Bolaños monströsen Roman 2666 mit Lego-Figuren nachzuspielen (was das Ziel der Aufgabe war); ich selbst scheiterte zweimal daran, die 1200-Seiten-Schwarte überhaupt nur zu lesen. Stattdessen besorgte ich mir – ein Gelegenheitskauf – seinen Erzählungsband Cowboygräber, ließ diesen ein gutes Jahr lang im Regal reifen, las ihn vor ein paar Wochen endlich und war so angefixt, dass ich mir jetzt seinen Lumpenroman besorgte, mit 112 Seiten ein hoffentlich zeitnah meisterbares Werk (Adam Soboczynski in der ZEIT: „… ein kleiner, teuflischer Roman über den Himmel“).
Es handelt sich um die Hardcover-Ausgabe; ich hab sie antiquarisch erstanden, für 2,89 Euro, in vollkommen okayem Zustand. Das Buch hat der Hanser-Verlag sehr schön gestaltet3 – sowohl außen als auch innen. Es hat sogar einen giftgrünen Schnitt.
Dem Roman ist ein Zitat des Dichters (u.a.) Antonin Artaud vorangestellt:
Alles Geschriebene ist Schweinerei.
Die Leute, die das Unbestimmte verlassen, um zu
versuchen, zu präzisieren, sind Schweine.
Das ganze Literatenvolk ist schweinisch, und
besonders dasjenige dieser Zeit.
Bommi Baumann und Till Meyer, Radikales Amerika. Wie die amerikanische Protestbewegung Deutschland veränderte
Fragt bitte nicht, warum ich gerade zum US-amerikanischen Bürgerrechtler und Aktivisten Malcolm X recherchiere. Aber im Zuge dessen stolperte ich über dieses Buch, dessen Co-Autor Bommi Baumann Mitbegründer der terroristischen Vereinigung Bewegung 2. Juni war. (Zusätzlich war er Mitbegründer des Zentralrats der umherschweifenden Haschrebellen.) 2016 ist er gestorben, weswegen ich ihn nicht mehr interviewen werden kann. Schade.
Ein altes SPIEGEL-Interview mit Baumann veranlasste mich dazu, mir das Buch zu besorgen. Darin sagt er so schöne Sachen wie:
Ich bin der U.S. Army bis heute dafür dankbar, dass sie einen Radiosender für ihre Soldaten betrieb, den AFN, der wenigstens eine Stunde am Tag Rock’n’Roll gespielt hat. Elvis Presley, Little Richard und andere. Die deutschen Sender haben nur ihren Schlagermüll auf uns losgelassen. Wir haben Jazz gehört und später Folksongs, Protestsongs, Pete Seeger, Bob Dylan.
Ich hab’s mir gebraucht gekauft – eingeschweißt mit einem Mängelexemplar-Stempel auf dem unteren Buchschnitt für 3,49 Euro.
Veronique Witzigmann, Selbstgemachte Geschenke zum Aufessen. Illustriert von Kat Menschik
Achtung! Nicht weiterscrollen! Denn genau das hab ich auch getan, als ich das Büchlein zu Weihnachten geschenkt bekam. Ich dachte: Was soll das denn sein? Was für ein Titel – was für ein Coverdesign … Ich blätterte darin herum und bemerkte plötzlich: Ah! Es ist von Kat Menschik illustriert! Ach so! Das änderte meinen Blick auf das Geschenk komplett.
Menschik hat beim Berliner Schöne-Bücher-Verlag Galiani eine eigene Reihe – Illustrierte Lieblingsbücher –, in der mittlerweile 17 (schmale) Bücher erschienen sind. In einem Buch geht es ausschließlich um Tomaten, in einem anderen geht es durch den „wilden“ Kaukasus. Ein Illustrirtes Thierleben hat sie zusammen mit Mark Benecke gemacht. Es gibt Klassiker von Shakespeare, Poe, E.T.A. Hoffmann, Kafka sowie Puschkin; außerdem zwei Geschichten von Babylon Berlin-Autor Volker Kutscher.
In die meisten hab ich mal reingeblättert; alle schön und gut. Aber Selbstgemachte Geschenke zum Aufessen überzeugt mich leider weder optisch noch inhaltlich. Das mag auch daran liegen, dass ich kein Typ bin, der selbstgemachte Marmeladen verschenkt. Und Bärlauchsalz? Himbeer-Pfirsich-Fruchtaufstrich? Zitronen-Thymian-Limonade? Lockt keinen hinterm Ofen hervor. Nun, die Autorin, Véronique Witzigmann, Tochter eines Sternekochs, trägt auch den Titel Marmeladenfee. Vielleicht liegt’s daran … Und optisch find ich’s einfach nicht gelungen. Zu generisch, zu eklektisch.
Na ja, das Salsiccia-Ragout koch ich demnächst mal nach.
Georg Büchner, Lenz
An Büchner4 hat mich immer fasziniert, dass er nur 23 Jahre alt geworden ist. Selbst die Mitglieder des Klubs 27 sind – wie der Name verrät – vier Jahre älter geworden als er – Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain und Co. Ich bin mittlerweile fast doppelt so alt wie Büchner und hab nicht mal halb so viel erreicht wie er.
Sein Woyzeck hat mich in der Schule genervt; Werner Herzogs Adaption mit Klaus Kinski, die wir uns im Deutschunterricht anschauten, ließ mich genauso ratlos zurück. Dantons Tod wollt ich eigentlich noch schnell lesen, bevor ich mir Ridley Scotts Schlachtengemälde Napoleon im Kino gab – ging sich aber zeitlich nicht aus, ums mal kakanisch zu formulieren.
Jetzt also Lenz, über den ich Ende letzten Jahres in einem Kontext gestolpert bin, den ich nicht mehr erinnere. Aber bei schlanken 37 Seiten ist mir das egal. Gekauft hab ich mir (antiquarisch) eine schlichte Taschenbuch-Ausgabe des Insel-Verlags von 1985 (Erstauflage!). Preis: 2,79 Euro. Das Cover ziert ein Porträt von Büchner: eine undatierte Bleistiftzeichnung, dessen Original 1944 bei einem Luftangriff auf Darmstadt verbrannte. Erster Satz: „Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg.“
Und während ich diesen Newsletter fertig geschrieben habe, stapeln sich neben mir schon wieder neue Bücher. Aber dazu ein andermal. Vielen Dank, dass ihr meinen Newsletter gelesen habt.
Wenn ihr Lust habt, könnt ihr mir noch erzählen, welches der Bücher aus meinem Stapel ihr jetzt am ehesten lesen würdet. Dauert nicht länger als 30 Sekunden:
Mein Bekannter Sam Gosling hat leider herausgefunden, dass ein CD- und/oder Bücherregal gar nicht mal so viel über einen aussagt …
Dem Buch stellt Roger Schawinski den Aphorismus 59 (Das Ende bedenken) aus Baltasar Graciáns Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647) voran: „Wenn man in das Haus des Glücks durch die Pforte des Jubels eintritt, so wird man durch die des Wehklagens wieder heraustreten, und umgekehrt. Daher soll man auf das Ende bedacht sein, und seine Sorgfalt mehr auf ein glückliches Abgehn als auf den Beifall beim Auftreten richten. Es ist das gewöhnliche Los der Unglückskinder, einen gar fröhlichen Anfang, aber ein sehr tragisches Ende zu erleben. Das so gemeine Beifallsklatschen beim Auftreten ist nicht die Hauptsache, allen wird es zuteil; sondern das allgemeine Gefühl, das sich bei unserm Abtreten äußert. Denn die Zurückgewünschten sind selten, wenige geleitet das Glück bis an die Schwelle: so höflich es gegen die Ankommenden zu sein pflegt, so schnöde gegen die Abgehenden.“
Dafür zeichnete Peter-Andreas Hassiepen – verlagsinternes Kürzel H7 – verantwortlich, der Art Director himself. Spannender Mensch, über den man mehr in diesem BuchMarkt-Artikel oder dieser Hanser Rauschen-Podcast-Folge erfährt.
Hier hatte ich noch kurz vor dem Abschicken des Newsletters einen schönen Freudschen Verschreiber drin: „Bücher“ statt „Büchner“. Haha!