Schöne Künste #2: Musik für die Seele und Wissen zum Lachen
Über (m)einen alten (Musik-)Schwarm, einen lustigen Wissenschafts-Podcast und Bücher, die ihr mir empfohlen habt.
Kälte, Krankheit, Stress. Dieses glorreiche Trio hatte mich in den vergangenen Wochen und Tagen fest im Griff – aber zumindest die Krankheit und der Stress haben sich ein wenig gelegt, und so komm ich wieder einmal dazu, euch von ein paar schönen Dingen zu berichten, die mir seit dem letzten Newsletter begegnet sind.
Davor aber ein großes Dankeschön an euch: BELETAGE hat die 100er Marke geknackt! Mehr als 100 Menschen lesen jetzt alle paar Wochen diesen Newsletter. Und auch wenn die Großen dieses Genres mittlerweile Richtung 10.000 steuern: Für mich ist das ein kleiner Erfolg, und mich motiviert diese Zahl ungemein. Denn demnächst schon könnten es 200 sein, dann 500, 1000 und so weiter.
Aber damit es so weit kommt, darf ich hier nicht weiter Zeit verlieren und knall euch direkt meine Kultur-Tipps vor den Latz.
1. Ein lustiger Wissenschafts-Podcast mit (m)einem alten Bekannten

Mein erster Tipp ist ein Hinweis „in eigener Sache“. Vor zwei Wochen haben wir – turbokultur, die Firma, bei der ich als Executive Producer arbeite – die letzten Folgen unseres Audible-Original-Podcasts Funny Science aufgenommen. In dem Podcast sprechen der Neuroforscher Henning Beck und der Comedian Falk Pyrczek über Wissenschaftsphänome: Warum schrumpfen Maulwurfgehirne im Winter? Wie altert der Mensch? Und kann die Sonne eigentlich verbrennen? Der Podcast ist gleichermaßen lehrreich wie unterhaltsam.
Meine bisherige Lieblingsfolge ist die zehnte, über Außerirdische. Darin erwähnt Henning Beck nämlich – Achtung: Spoiler! – jene goldene Schallplatte, die die Nasa 1977 mit einer Sonde ins Weltall schoss. Zwei Aspekte gefallen mir an jener Voyager Golden Record besonders gut: Erstens, dass Science-Fiction-Autoren als Berater konsultiert worden sind – unter ihnen Arthur C. Clarke, Urheber von 2001: A Space Odyssey, deren kongeniale Verfilmung durch Stanley Kubrick einer meiner Lieblingsfilme ist. Zweitens, dass Musikstücke von Komponisten auf der Platte waren, die ich über die Maßen schätze, insbesondere Bachs Präludium und Fuge C-Dur aus dem Wohltemperierten Klavier Teil 2 in der – und das ist das i-Tüpfelchen – Einspielung von Klavierhalbgott Glenn Gould.1
Hätte die Nasa mich gefragt, hätte ich zwar seine 1955er-Einspielung der Aria der Goldberg-Variationen vorgeschlagen. Aber erstens war ich noch nicht geboren, und zweitens werden die Aliens auch anhand dieser knapp 5 Minuten ermessen können, welchen Weg die Menschheit vom Vormensch – und da sind wir wieder bei Space Odyssey – zum Schöpfer solcher Klänge zurückgelegt hat.
Insgesamt ist überproportional viel Bach auf der Scheibe, was ich nur begrüßen kann. Abgesehen vom bereits Erwähnten noch der erste Satz des zweiten Brandenburgischen Konzerts, eingespielt vom Münchener Bach-Orchester unter Karl Richter,2 und die Gavotte en rondeau aus der Partita für Violine solo Nr. 3 E-Dur, eingespielt von Arthur Grumiaux. Außerdem gibt’s noch zwei Sätze Beethoven, einen Strawinsky, einen Mozart und einen Holborne. Ansonsten: Jazz, Rock’n’Roll und viel Weltmusik (vollständigen Liste.)
Aber ich bin mal wieder vom Thema abgekommen. Denn abgesehen von solchen Fun Facts war es für mich eine große Freude, Henning Beck für den Podcast gewinnen zu können. Wir beide kennen uns aus Science-Slam-Tagen, traten ein paar Mal gegeneinander an und verloren uns nie aus den Augen. Heute ist er Kolumnist, Vortragsredner und Buchautor; gerade ist im Econ-Verlag seine neueste Publikation herausgekommen: 12 Gesetze der Dummheit: Denkfehler, die vernünftige Entscheidungen in der Politik und bei uns allen verhindern.
Falls ihr also ein Audible-Abo habt, hört euch gerne durch das erste Dutzend Folgen von Funny Science und lasst einen freundlichen Kommentar da. Danke, Ende der Durchsage!
2. Ein neues Album (m)eines alten (Musik-)Schwarms

Ich muss gestehen, dass mich die letzten Veröffentlichungen der deutschen Soul-Queen Joy Denalane nicht mehr sonderlich berührt haben. Sie waren mehr als amtlich, vieles stimmte. Let Yourself Be Loved erschien (2020) sogar auf dem legendären US-Label Motown. Aber für mich konnte sie bei alledem nie an ihr Debütalbum Mamani (2002) anknüpfen, und vielleicht war sie daran gar nicht selbst schuld. Denn als ihr Erstlingswerk herauskam, war es ein solch großer Wurf, dass darauf erst mal nichts mehr folgen konnte. Das Album war Anfang- und Endpunkt zugleich. Davor gab es keinen ernstzunehmenden deutschen R&B/Soul (I mean: Sabrina Setlur? Xavier Naidoo? Cassandra Steen? Really?) und danach auch nicht.
Ich selbst feierte die Platte dermaßen, dass zeitweise ein Tour-Plakat in meiner Studentenbude hing und ein Weltladen-mäßiger Mamani-Badge von meiner Umhängetasche prangte. Ich erinnere mich noch gut, wie ich mit einem Kommilitonen, Christoph, auf dem Teppichboden seiner Wohnung lag – wir hatten beide die Augen geschlossen –, und wir auf seiner Kompaktanlage die CD von vorne bis hinten durchhörten. (Und: Noch Jahre später war ich Fan genug, um ein Denalane-Konzert zu besprechen.)

Natürlich war ich in Joy auch verliebt. So schlau, so schön und dabei so cool. Eine Kombination, die damals in Deutschland noch Seltenheitswert besaß. (Schlau? Ja. Schön? Ja. Cool? Fehlanzeige. Das mussten wir erst lernen.) Und natürlich wollte ich auch ein bisschen so sein wie ihr damaliger Freund und heutiger Mann Max Herre. Auch er: gebildet, gutaussehend – cool.
Beim Hören von Denalanes neuem Album kam das alles wieder hoch. Willpower ist zwar komplett auf Englisch gehalten, was ich ein bisschen schade finde. Aber von der Stoßrichtung her besinnt sich Denalane wieder auf ihr musikalisches Erstlingswerk. Jazzy Akkorde, Gospel-Einwürfe als Referenz auf ihre (süd-)afrikanischen Wurzeln (Happy, hier fügt sich auch das Feature mit Wu-Tang-Legende Ghostface Killa wunderbar), starkes, persönliches Beziehungs-Storytelling über einem großen Septakkord (Hideaway). Und allenthalben Fender Rhodes, Hammond-Orgeln und Moogs, dass es für Tastenfreunde eine Freude ist.
„Ich versuche mit dem Stil das Musizieren zuzulassen und zuzulassen, dass die Instrumente miteinander kommunizieren“, sagte Denalane der Deutschen Presse-Agentur. Das hört man, alles ist fein miteinander verwoben, der musikalische Plan geht stets auf. Mit verantwortlich dafür ist der italienisch-deutsche Jazz-Pianist Roberto di Gioia, der das Album – wie bereits vorhergehende – zusammen mit Max Herre produziert hat. Er hat dabei aus der Fülle seines Klangrepertoires geschöpft und gleichzeitig darauf geachtet, dass das Machwerk nicht wie ein Black-Music-Potpourri klingt.
Authentische, tiefgründige, handwerklich überaus gut gemachte Musik von einer Frau, die immer noch genauso schlau, schön und cool ist wie vor 20 Jahren. (Ja, ich bin immer noch ein wenig verliebt …)
3. Ein paar Kultur-Tipps von euch
Beim Posten meines letzten Newsletters hatte ich euch ja gefragt, welche schönen Künste ihr zur Zeit empfehlen würdet. Und hier sind eure Antworten – vielen Dank, das meiste hatte ich nicht auf dem Zettel!

Florian empfiehlt Florentina Holzingers Theaterstück Ophelia’s Got Talent an der Berliner Volksbühne (zum Trailer). Dies sei wie nichts gewesen, was er vorher jemals gesehen habe. Nachtkritik schrieb darüber: „Ein Abend wie ein feministischer Wasserfall – kraftvoll und schamlos; der auch zeigt, was Bühnentechnik alles kann.“ Die Triggerwarnung des Stückes liest sich wie eine Einladung: „Die Show (…) beinhaltet: selbstverletzende Handlungen, Blut, Nadeln, Stroboskop-Licht, explizite Darstellung oder Beschreibung körperlicher oder sexualisierter Gewalt.“ Yes. Ergänzend dazu sei auf die schräge Posse um Florentina Holzingers Theatergruppe in einem ICE verwiesen, die es diesen Spätsommer zum Feuilleton-Aufmacher der ZEIT schaffte.)
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Zusätzlich verweist Florian auf Tomasz Jedrowskis Roman Im Wasser sind wir schwerelos (Hoffmann und Campe, 2021), für ihn „das bessere Call Me By Your Name“. Und das will was heißen. Denn Call Me By Your Name muss man erst mal toppen – jedenfalls den Film (I just watched the movie …).
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Ludger empfiehlt den Krimi Fünf Winter von James Kestrel (Suhrkamp Verlag, 2023). Perlentaucher: „Joe McGrady (…) ist 1941 seit fünf Jahren Polizist auf Hawaii, als ein Weißer und seine japanische Freundin brutal ermordet werden, woraufhin er auf die Spur des Tatverdächtigen angesetzt wird, die ihn während Pearl Habour über Manila und Hongkong nach Tokio führt, wo er vom Onkel der Toten festgesetzt wird, um den Fall zu lösen.“ Klingt nach einem heißen Thriller für die kalte, bevorstehende Jahreszeit!
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Elina empfiehlt den Roman Dagegen die Elefanten! von Dagmar Leupold (Jung u. Jung, 2022), der letztes Jahr für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Aus dem Klappentext: „Herr Harald ist der Mann in der Garderobe. Er gehört zum Theater wie der Vorhang, aber niemand kommt seinetwegen, das Rampenlicht ist für andere. Er nimmt den Menschen die Mäntel ab, die Taschen, was immer sie ihm anvertrauen, um für kurze Zeit unbeschwert zu sein, und wartet bis zum Schlussapplaus, das ist sein Einsatz. Doch eines Abends bleibt ein Mantel zurück, und in dem Mantel findet sich eine Pistole.“ Hach, Erinnerungen an meine Zeit als Garderobiere im Wiener Café Sacher …
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Und zu guter Letzt empfiehlt Marc einerseits Anne Rabes Roman Die Möglichkeit von Glück (Klett-Cotta, 2023) – „Das habe ich weggeatmet, da habe ich mich oft wiedergefunden in den Nachwendegedanken“. Zusätzlich empfiehlt er „als Dresdner“, wie er schreibt, den Roman Gittersee von Charlotte Gneuß (S. Fischer, 2023). Da hat Marc, wie immer, ein gutes Händchen bewiesen. Denn nicht nur waren beide Bücher für den Deutschen Buchpreis nominiert, sie waren in den vergangenen Wochen auch Teil der Feuilleton-Debatte um die sogenannte DDR-Literatur (siehe z.B. Vergiftete Debatte in der Süddeutschen Zeitung).
Im Kern ging es dabei um die Frage, wer dazu berechtigt ist, einen DDR-Roman zu schreiben. Charlotte Gneuß ist (1992) im schwäbischen Ludwigsburg geboren; lediglich ihre Eltern und Großeltern haben in der DDR gelebt. In der Folge wurde ihr quasi zum Vorwurf gemacht, dass sie Wörter wie lecker benutzte, die laut (dem in Dresden geborenen) Autor Ingo Schulze im deutschen Osten der 1970er Jahre kaum in Gebrauch gewesen seien.
Die außerordentlich hohe Qualität ihres Debüts stellt derweil keiner in Abrede. Von daher steht einer – meinetwegen „informierten“ – Lektüre von Gittersee nichts im Wege. Und Die Möglichkeit von Glück bitte direkt mit wegatmen!
Das war’s erst mal wieder. Falls mir keine Fußnote dazwischen kommt, schaff ich’s hoffentlich bis zum nächsten Mal, endlich meinen T.C.-Boyle-Essay fertig zu schreiben!
P.S.: Einen schnellen Tipp hab ich noch – es handelt sich um eine Vorankündigung. Am 16. April 2024 erscheint bei Rowohlt der Roman Kälte von Szczepan Twardoch, einen polnischen Gegenwartsautor, den ich schätze wie kaum einen zweiten. Vorfreude!
Witziger Nebeneffekt der Gould-Einspielung: Falls die Aliens sie hören, werden sie denken, wir Menschen summen, singen und brummen, wenn wir Bach spielen, so wie Glenn Gould es zur Freude der einen, zum Leid der anderen auf seinen Aufnahmen stets tut. Mir erging es da als Teenager ganz anders: Ich dachte, die CD sei fehlerhaft und wollte sie schon umtauschen gehen! Heute geht es mir fast andersrum: Bei Interpretationen ohne Gesumme denke ich: Irgendetwas fehlt …
Ich bin ein großer Freund der Alten Musik, also der Musik vom Mittelalter über die Renaissance bis hin zum Barock. (Beethoven gilt z.B. nicht als „alte“ Musik, auch wenn sein letztes abgeschlossenes Werk, das Streichquartett Nr. 16 F-Dur op. 135, nahezu 200 Jahre alt ist – was definitiv nicht sonderlich jung klingt.) Was ich früh erkannte: Wenn diese nicht „richtig“ aufgeführt wird, klingt sie zwar nicht „falsch“, aber (für meine Ohren) langweilig. Na ja, ganz so dogmatisch bin ich nicht, denn Gould, den ich ja offenbar sehr verehre, hat ja quasi alles „falsch“ gemacht – moderner Konzertflügel statt Cembalo, freie bis gegensätzliche Interpretation von Tempo-Angaben etc. –, und dennoch ist das Richtigste herausgekommen, das ich mir vorstellen kann. Aber mit wenigen Ausnahmen bin ich ein Kind der historischen Aufführungspraxis. Mir fehlt das Raue, das Tempo, der Kontrast, die Exotik und die Transparenz, wenn ich Bachs Brandenburgische Konzerte von einem groß besetzten sinfonischen Orchester auf modernen Instrumenten gespielt höre wie im Fall Karl Richters, der jetzt mit seinem Münchener Bach-Orchester im Orbit rumschwirrt. Was sollen die Aliens von uns denken? Nun, ich will nicht gegen Richter abpesten. Er, sein Orchester sowie sein Chor haben ihre (großen) Verdienste, und er war ein einzigartiger, unheimlich spannender Zeitgenosse (siehe dazu die beiden Dokus Karl Richter und sein Münchener Bach-Chor und Karl Richter in München). Aber als die Nasa ihre goldene Schallplatte ins All schoss, gab es bereits ein paar historisch informierte(re) Aufnahmen der Brandenburgischen Konzerte, z.B. jene von Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus Wien. (Harnoncourt war übrigens schon 1950 bei der ersten Gesamtaufnahme des Werks auf historischen Instrumenten überhaupt dabei.) So kritisch ich Karl Richter gegenüber eingestellt bin: Er hat mich doch auch ein wenig geprägt. Denn damals, in jenem Internat, das ich als Jugendlicher besuchte, mussten wir Schüler zwei Nachmittage die Woche den Campus sauber machen. „Arbeitsnachmittag“ hieß das unverblümt. Und einen Herbst lang verkürzte ich mir die Stunden, die ich zum Laubrechen verdonnert war, indem ich auf meinem Walkman eine deutschsprachige Fassung von Händels Messiah hoch und runter hörte – interpretiert von ebenjenem Karl Richter. Die Kassette leierte, Chor und Orchester auch, die Solisten sowieso. Aber ich war zwei Stunden glückselig. „Halleluja!“ Wir hatten ja nichts.